Max Dauthendey (1787 bis 1862)



Das Wissen der Menschen

Wenn Augen sich im Aug' verkriechen,
Und keines einen Wunsch mehr weiß,
Wenn Wangen wie die warmen Lampen
In Kissen leuchten still und heiß,
Dann scheint mir all' Wissen der Menschen ein Harm
Gegen das Feuer der Liebe im glücklichen Arm.


Der Kristall

Hab einen Kristall mir gefunden.
Wie Frauen zum Spiegel sich biegen
Und über den Spiegeln gern liegen,
Entfliegen mir schauend die Stunden.
Seh in dem Kristall alle Zeiten,
Das Leben in Meilen und Breiten.
Kristall ist mein Herz, das sich klärte
Durch Liebe, die blind in ihm gärte.


Die Amsel

Da die Nacht mit Laternen noch draußen stand,
Der Schlaf und der Träume glitzender Fächer
Um Haus und Himmel aufgespannt,
Da sang an mein Bett weit über die Dächer,
Da sang vor der Stund', eh' mit bläulicher Hand
Der Morgen sich unter den Sternen durchfand,
Eine Amsel aus Finster und Fernen.
Eh' noch den Laternen das Licht verflacht,
Hat schon die Amsel die Sehnsucht gepackt.
Sie sang von Inbrunst aufgeweckt
Mit dem Herz, daß ihr heiß in der Kehle steckt.
Sie sang von Lieb', die sich aufmacht,
Und durch die schlafenden Mauern lacht.


Die Liebe lehrte den Blumen das Wandern

Es kam ein Strauß nach dem andern
Von Juniblumen ins Haus;
Die Liebe lehrte den Blumen das Wandern:
Kleeblüten, die stehen frühmorgens im Tau
Auf grünem Tanzplatz, wo auf den Zehen
Vorsichtig sich wiegt meine Herzensfrau.
Es kam auch ein kleines Bündel Männertreue
Von einfacher schlichter weltferner Bläue.
Die hatte ein Dichter am Weg gesät,
So einer, der fleißig im Äther mäht.
Die Rispen sind blau aus der Höhe gesunken
Und leuchten wie Dichter von Bläue trunken.
Und ein Salbeistrauß von schwermütigem Blau.
So schwerblütig denkz sich der Dichter die Frau,
So würzig und kräftig aufs Erdreich gestellt,
Und überbietet an Bläue den Äther der Welt.


Die Spiegel trinken verliebt Dein Gesicht

Dein Blondhaar Dir goldschwere Kränze flicht,
Die Spiegel trinken verliebt Dein Gesicht.
Gern würde Dein Spiegel zur silbernen Wolke
Und zeigt Dich blendend dem Volke.

Es sinken Die sanft von den Hüften die Seiden,
Doch nie wollen je sich die Augen entkleiden;
Sie bleiben beide im Abgrund versteckt,
Bei dem ich gerne schliefe, unerschreckt
Von der tötenden Tiefe.


Die Uhr zeigt heute keine Zeit

Ich bin so glücklich von Deinen Küssen,
Daß alle Dinge es spüren müssen.
Mein Herz in wogender Brust mir liegt,
Wie sich ein Kahn im Schilfe wiegt.
Und fällt auch Regen heut ohne Ende,
Es regnet Blumen in meine Hände.
Die Stund', die so durchs Zimmer geht,
Auf keiner Uhr als Ziffer steht;
Die Uhr zeigt heute keine Zeit,
Sie deutet hinaus in die Ewigkeit.


Durchs Korn gehen warme Gassen

Durchs Korn gehen warme Gassen,
Mohnblumen trunken drohen
Und feurig nach dir fassen.

Die Ähr' schwillt heiß und hager.
In Halmen, himmelhohen,
Baut uns die Lieb' ein Lager.

Wo Lerchen drüber stehen,
Wenn wir wie Kornbrand lohen,
Wie Mohn durchs Feuer gehen.


Ein Rudel kleiner Wolken

Ein Rudel kleiner Wolken
Schwimmt durch die Abendhelle,
Wie graue Fische im Meere
Durch eine blendende Welle.

Und Mückenscharen spielen
Im späten Winde rege
Sie tanzen zierliche Tänze
Im warmen staubigen Wege.

Und zwischen Wolken und Erde,
Über die Bäume, die schlanken,
Ziehn auf der Straße zum Monde
Die uralten Liebesgedanken.


Ich habe Dir so viel zu sagen

Ich habe Dir so viel zu sagen,
Ich glaub' nicht, daß mein Leben reicht,
Das Leben, das nach kurzen Tagen
Dem großen Todesschweigen weicht.

Mein Lied soll mir nie sterben gehen,
Sein Leben niemals ihm entflieht.
Wenn Herz und Atem still mir stehen,
Mein Lied noch singend vor Dir kniet.


Ich hatt' mal eine gute Zeit

Ich hatt' mal eine gute Zeit -
Kaum wie ein Hündlein bellt im Traum
Sprach ich von Liebesschmerzen;
Wie jeder mal im Märzen klagt,
Wenn schon der Frühling angesagt,
Und Hastigkeit die Glieder plagt;
Wenn Neugier durch die Äste jagt,
Wenn kahl noch der Kastanienbaum
Schier stündlich nach den Kerzen fragt.
So wie vom Regenschnee der Flaum
Rührte kaum Leid des Ärmels Saum,
Aufs Höchste spürte man's am Kleid.
Blitz lag noch nicht mit Blitz im Streit,
Die Liebe lief durch die Ewigkeit,
Kein Meilenstein stand weit und breit.
Die Sehnsucht traf noch nicht das Mark,
Ich sehnte mich am Sehnen stark,
Blau war noch die Unendlichkeit -
Ich hatt' mal eine gute Zeit.


Keiner mehr am Boden klebt

Nun füllt sich das Auge bald
Wieder voll mit alter Freude,
Beine, wandert hin zum Wald,
Wo noch Schnee jüngst schlief am Steine!
Watet Kniee, watet tief
Durch das Kräuterbett der Heide!
Von dem Kopf fiel fort das Brett;
Auch dem allerärmsten Tropf
Lebt die Welt zur Augenweide.
Jeder heut darüber schwebt
Wie der Himmel blau im Kleide,
Keiner mehr am Boden klebt.