Nikolaus Lenau (1802 bis 1850)



An die Entfernte

Diese Rose pflück' ich hier
In der fremden Ferne;
Liebes Mädchen, dir, ach dir
Brächt' ich sie gerne!

Doch bis ich zu dir mag ziehn
Viele weite Meilen,
Ist die Rose längst dahin,
Denn die Rosen eilen.

Nie soll weiter sich ins Land
Lieb' von Liebe wagen,
Als sich blühend in der Hand
Läßt die Rose tragen;

Oder als die Nachtigall
Halme bringt zum Neste,
Oder als ihr süßer Schall
Wandert mit dem Weste.


Bitte

Weil' auf mir, du dunkles Auge,
Übe deine ganze Macht,
Ernste, milde, träumerische,
unergründlich süße Nacht!

Nimm mit deinem Zauberdunkel
Diese Welt von hinnen mir,
Daß du über meinem Leben
Einsam schwebest für und für.


Einsamkeit

Wildverwachs'ne dunkle Fichten,
Leise klagt die Quelle fort;
Herz, das ist der rechte Ort
Für dein schmerzliches Verzichten.

Grauer Vogel in den Zweigen
Einsam deine Klage singt,
Und auf deine Frage bringt
Antwort nicht des Waldes Schweigen.

Wenn's auch immer schweigen bliebe,
Klage, klage fort; es weht,
Der dich höret und versteht,
Stille hier der Geist der Liebe.

Nicht verloren hier im Moose -
Herz, dein heimlich weinen geht,
Deine Liebe Gott versteht,
Deine tiefe, hoffnungslose.


Schilflied

Auf dem Teich, dem regungslosen,
Weilt des Mondes holder Glanz,
Flechtend seine bleichen Rosen
In des Schiffes grünen Kranz.

Hirsche wandeln dort am Hügel
Blicken in die Nacht empor;
Manchmal regt sich das Geflügel
Träumerisch im tiefen Rohr.

Weinend muß mein Blick sich senken;
Durch die tiefste Seele geht
Mir ein süßes Deingedenken,
Wie ein stilles Nachtgebet.