Anna Ritter (1865 bis 1921)



Auf der Bergeshöh

Auf der Bergeshöh,
Wo die Stürme gehen -
Mein Lieb, wie hieltest du mich!
Ein Lichtlein stand
Weit drüben im Wald,
Und der Mantel wehte um dich!

Wie Frühling zogs
Durch die Lüfte hin,
Wir lauschten still in die Nacht:
Die Sehnsucht war,
Ein jubelndes Kind,
Aus dem Winterschlafe erwacht.

Auf der Bergeshöh
Liegt der Schnee so tief,
Das blanke Lichtlein erblich ...
Der Wind schleicht müd'
Durch das träumende Land -
Mein Lieb, wo findet er dich?


Brautgang

Junge Hände halfen mich schmücken,
Alte Lippen segneten mich,
Leise rieselt die bräutliche Schleppe
Über die blumengeschmückte Treppe,
Und der Schleier fällt über mich.

Flüsternd stehn die Leute zur Seite -
Was sie reden, höre ich nicht.
Brausend schwillt mir die Orgel entgegen,
Und wie ein goldener Gottessegen
Streift die Sonne mein blaß Gesicht.

Tausend fromme Wünsche im Herzen,
Heil'ge Scheu im kindlichen Sinn,
Kniee ich still an der seligen Pforte
Unsres Glücks, und des Priesters Worte
Hallen ernst durch die Kirche hin.


Brautring

Als über den Flieder das Mondlicht rann,
Da steckt' er mir heimlich ein Ringlein an,
Und küßte den Ring und die Hand dazu
Und lauschte selig dem ersten "Du".

Das Mondenlicht sah in den Ring hinein,
Das gab einen fröhlichen, hellen Schein,
Der Fliederbaum neigte die Blüten stumm,
Die Gräser raunten: "Das Glück geht um!"


Dein Sessel

Dein Sessel am Kamin steht lange leer ...
Und war so süß, das Beieinandersein,
Wenn über deine Stirn der Flammenschein
Hinleuchtete und wie ein roter Bach
Um deine regungslosen Hände rann. -
So schweigsam war, so heimlich das Gemach,
Als wären wir auf weiter Welt allein,
Nur unsre Sehnsucht flüsterte hinein
In jene Stille, flüsterte und sann ...
Du sahst mich jählings gar so seltsam an
Und sprangest auf, und wie zu Tod erschrocken
Bargst du die wilden, widerspenst'gen Locken
Mir tief im Schoß. -

Ich liebte sie so sehr,
Die kühle Flut, und meine Hände glitten
Darüber hin und wiegten deine Bitten,
Dein ungestümes Wünschen spielend ein ...
Es war so süß, das Beieinandersein.

So schweigsam ist's, so heimlich rings umher ...
Die alte Sehnsucht wacht mir auf im Blut,
Ich werfe Scheite in die träge Glut,
Da knistert sie und schaut sich suchend um -
In deinen Locken spielt sie nimmermehr,
Dein Sessel am Kamin steht lange leer ...


Der Frühling blüht

Der Frühling blüht! Herz - war er je so schön?
Lag je ein solcher Schimmer auf den Höhn
Und in den Tälern solch ein lieber Glanz?
Ein jeder Baum trägt einen Blütenkranz -
Auch du, mein Haupt, willst unter grünen Zweigen
Dich ahnungsvoll dem Glück entgegen neigen!

Die beiden Hände drück' ich auf die Brust -
Ist's Schmerz, der drinnen lodert, ist es Lust?
Ach, wunderlich verwoben und verwebt
Ist Beides mir, und meine Sehnsucht schwebt
Darüber hin, aus dieses Frühlings Tagen
In der Erfüllung Frieden mich zu tragen.


Ein Letztes

Oft denk ich: wenn du bei mir wärest
Und meiner Sehnsucht wilde Flut
Sich in dein liebes Herz ergösse,
Dann wäre Alles, Alles gut!

Und schüttle dann die Stirne leise
Und weiß . es bliebe d o c h ein Rest,
Der auch vom treusten Menschenherzen
Sich nicht zur Ruhe bringen läßt.


Erwacht

Warum hast du's angerufen -
Schlief es doch so fest und still!
Da es nun in mir erwachte,
Weiß ich nicht, was werden will!

Mit den großen Sehnsuchtsaugen
Schaut's in jeden Tag hinein ...
Lieder sing' ich, müde Lieder,
Doch es schläft nicht wieder ein!


Es schlief mein Mund

Es schlief mein Mund, vom Schmerz bewacht,
Du kamst und küßtest ihn zur Nacht,
Da wacht' er auf - nun wehe mir:
Wie lechzt und dürstet er nach dir!

Ergebenheit und stiller Sinn
Und Schlaf und Ruh - wo sind sie hin?
Ein Feuer glüht mir neu im Blut ...
So weiß ich wohl, wie Liebe tut!


Geheimnis

Ich trag' ein glückseliges Geheimnis
Mit mir herum,
Ich möchts allen Leuten vertrauen
Und bleib' doch stumm!
Ach, jubeln möchte' ich und singen,
Von früh bis spät -
Und rege nur heimlich die Lippen,
Wie zum Gebet!


Im Lampenschein

Das ist ein lieb Beisammensein,
Wenn über uns die Wanduhr tickt
Und dir der Arbeitslampe Schein
So voll ins frohe Antlitz blickt!

Ich rühr' dich manchmal heimlich an,
Nur, daß ich weiß: ich h a b e dich -
Dann lächelst du, geliebter Mann,
Und nickst mir zu und küssest mich!


Liebesruhe

Wie war ich erst so scheu und wild!
Und nun, so ganz dir hingegeben,
Ist alle Unrast süß gestillt!

Ein Friedenshauch zieht durch mein Leben,
Wie über reifendem Gefild
Wohl schon die Ernteglocken schweben.


Selige Hoffnung

Du schläfst mir still zur Seite -
Ich aber lausche schon
In eine dunkle Weite.
Es klingt ein fremder Ton
Durch meiner Nächte Schweigen,
Gar süß und wunderlich,
Und goldne Sterne neigen
Sich grüßend über mich.

So tief bin ich befangen
In meiner Heimlichkeit,
Und so voll Lust und Bangen -
Darüber fliegt die Zeit ...
Zwei Kinderfüßchen schreiten
Allnächtlich durch mein Haus,
Und kleine Arme breiten
Sich hilflos nach mir aus. -

Ich hab mein liebes Leben
Nicht mehr für mich allein,
Ein andres wächst daneben.
Im dunklen Kämmerlein
Will's leise schon sich regen,
Ich aber träume sacht
Dem sel'gen Tag entgegen,
Da 's mir im Arm erwacht.


Sonnenregen

Ich gehe fremd durch die Menge hin,
Den irdischen Lauten entrückt,
Ich trage heimlich ein weißes Kleid,
Mit bräutlichen Zweigen geschmückt.
Es ist ein Singen und Blühn in mir,
Als trüg' ich den Lenz in der Brust -
Und liegt doch zitternd ein blasser Flor
Von Tränen über der Luft!


Stille Zeit

Die Tage rinnen leise hin ...
Ein jeder bringt ein liebes Glück
Und eine liebe Sorge mit,
Und schau ich so den Weg zurück,
Den ich mit dir gegangen bin,
Da will es mir fast bange werden
Um so viel Seligkeit auf Erden. -


Weihe

Ich l i e b e diese Form, die dich entzückt!
Die weiße Brust, an der dein Haupt gelegen,
Und diesen Nacken, den dein Arm umschlang.
Seit deines Kusses Wonne mich durchdrang,
Liegts über mir wie ein geheimer Segen,
Ein Frühlingsglanz, der meine Glieder schmückt!

Ich liebe dieser Augen lichter Schein,
Seit sie, zwei Sterne, über dir gestanden,
Und dieser Stimme warmen, vollen Klang,
Die deine Sehnsucht einst zur Ruhe sang!
Der Mund ist süß, den deine Lippen fanden,
Und diese Seele heilig, seit sie dein!

Die Liebe hebt mich über mich empor,
Daß ich mich selbst wie etwas fremdes sehe,
Und meine Schönheit trage wie ein Kleid,
Wie einen Schmuck, der deinem Dienst geweiht:
Der Sonne gleich, lockt deine liebe Nähe
Mich aus mir selbst sehnsuchtsvoll hervor!