Friedrich Rückert (1788 bis 1866)



Du meine Seele, du mein Herz

Du meine Seele, du mein Herz,
Du meine Wonn', o du mein Schmerz,
Du meine Welt, in der ich lebe,
Mein Himmel du, darein ich schwebe,
O du mein Grab, in das hinab
Ich ewig meinen Kummer gab!

Du bist die Ruhe, du bist der Frieden,
Du bist der Himmel, mir beschieden.
Daß du mich liebst, macht mich mehr wert,
Dein Blick hat mich vor mir verklärt;
Du hebst mich liebend über mich,
Mein guter Geist, mein bess'res Ich!


Liebster, wenn an deinen Küssen

Liebster, wenn an deinen Küssen
Ich nun eben stürbe,
Sag', ob unter Tränengüssen
Ich ein Grab erwürbe?

Hast du solchen Tod erworben,
Sollt' ich wohl erschrecken.
Die an Küssen ist gestorben,
Wird ein Kuß erwecken.


Sie sagen wohl, ein Kuß sei Scherz

Sie sagen wohl, ein Kuß sei Scherz,
Sie sagen wohl, ein Kuß sei Spiel,
O wie ein Kuß mir viel aufs Herz,
O wie ein Kuß aufs Herz mir fiel!
Ich küsse nicht zum Scherze dich,
Ich küsse dich aus vollem Ernst,
Und wenn du anders küssest mich,
So bitt' ich, daß du's besser lernst.
Ich sage dir mit diesem Kuß,
Daß ich die Deine bin und bleib',
Ich sage dir, daß ewig muß
Ich mich bekennen als dein Weib.
Du hast das selbe mir gesagt,
Du liebst im Ernst und nicht im Scherz,
Und wenn mein Mund dich zweifelnd fragt,
So küss' es wieder mir ins Herz.