Ludwig Uhland (1787 bis 1862)
Was klinget und singet die Straß' herauf?
Ihr Jungfern, machet die Fenster auf!
Es ziehet der Bursch' in die Weite,
Sie geben ihm das Geleite.
Wohl jauchzen die andern und schwingen die Hüt',
Viel Bänder darauf und viel edle Blüt',
Dach dem Burschen gefällt nicht die Sitte,
Steht still und bleich in der Mitte.
Wohl klingen die Kannen, wohl funkelt der Wein:
"Trink aus und trink wieder, lieb Bruder mein!" -
"Mit dem Abschiedsweine nur fliehet,
Der da innen mir brennet und glühet!"
Und draußen am allerletzten Haus,
Da schlägt der Bursch die Augen auf,
Und schlägt sie nieder mit Schmerze
Und legt die Hand aufs Herze.
"Herr Bruder, und hat du noch keinen Strauß,
Dort winken und wanken viel Blumen heraus,
Wohlauf, Du schönste von allen,
Laß ein Sträußlein herunterfallen!"
"Ihr Brüder, was sollte das Sträußlein mir?
Ich hab' ja kein Liebchen, wie Ihr.
An der Sonne würd' es vergehen,
Der Wind, der wird es verwehen."
Und weiter, ja weiter mit Sang und Klang;
Und das Mägdlein lauschet und horchet noch lang.
"O weh! Er ziehet, der Knabe,
Den ich stlle geliebet habe.
Da steh' ich, ach! mit der Liebe mein,
Mit Rosen und Gelbveigelein!
Dem ich alles gäbe so gerne,
Der ist nun in der Ferne."
Deine Augen sind nicht himmelblau,
Dein Mund, er ist kein Rosenmund,
Nicht Brust und Arme Lilien.
Ach, welch ein Frühling wäre das,
Wo solche Lilien, solche Rosen
Im Tal und auf den Höhen blühten
Und alles das ein klarer Himmel
Umfinge, wie dein blaues Aug'!
Im Sommer such' ein Liebchen dir
In Garten und Gefild!
Da sind die Tage lang genug,
Da sind die Nächte mild.
Im Winter muß der süße Bund
Schon fest geschlossen sein,
So darfst nicht lange stehn im Schnee
Bei kaltem Mondenschein.
Wenn Sträuchen, Blumen manche Deutung eigen,
Wenn in den Rosen Liebe sich entzündet,
Vergißmeinnicht im Namen schon sich kündet,
Lorbeere Ruhm, Zypressen Trauer zeigen;
Wenn, wo die andern Zeichen alle schweigen,
Man doch in Farben zarten Sinn ergründet.
Wenn Stolz und Neid dem Gelben sich verbündet,
Wenn Hoffnung flattert in den grünen Zweigen:
So brach ich wohl mit Grund in meinem Garten
Die Blumen aller Farben, aller Arten
Und bring' sie dir, zu wildem Strauß gereihet.
Dir ist ja meine Lust, mein Hoffen, Leiden,
Mein Lieben, meine Treu', mein Ruhm, mein Neiden,
Dir ist mein Leben, dir mein Tod geweihet.
Da fliegt, als wir im Felde gehen,
Ein Sommerfaden übers Land,
Ein leicht und licht Gespinst der Feen,
Und knüpft von mir zu ihr ein Band.
Ich nehm' ihn für ein günstig Zeichen,
Ein Zeichen, wie die Lieb' es braucht.
O Hoffnungen der Hoffnungsreichen,
Aus Duft gewebt, von Luft zerhaucht!
Im schönsten Garten wallten
Zwei Buhlen, Hand in Hand,
Zwei bleiche, kranke Gestalten;
Sie saßen im Blumenland.
Sie küßten sich auf die Wangen
Und küßten sich auf den Mund,
Sie hielten sich fest umfangen,
Sie wurden jung und gesund.
Zwei Glöcklein klangen helle,
Der Traum entschwand zur Stund';
Sie lag in der Klosterzelle
Er fern in Turmes Grund.
So hab' ich endlich dich gerettet
Mir aus der Menge wilden Reihn!
Du bist in meinen Arm gekettet,
Du bist nun mein, nun einzig mein.
Es schlummert alles diese Stunde,
Nur wir noch leben auf der Welt,
Wie in der Wasser stillem Grunde
Der Meergott seine Göttin hält.
Verrauscht ist all das rohe Tosen,
Das deine Worte mir verschlang,
Dein leises liebevolles Kosen
Ist nun mein einz'ger süßer Klang.
Die Erde liegt in Nacht gehüllet,
Kein Licht erglänzt auf Flur und Teich,
Nur dieser Lampe Schimmer füllet
Noch unsrer Liebe kleines Reich.
Die Stelle, wo ich auf verschlungnen Wegen
Begegnete dem wunderschönen Kinde,
Das, leicht vorübereilend mit dem Winde,
Mir spendete des holden Blickes Segen:
Wohl möchte' ich jene Stelle liebend hegen,
Dort Zeichen graben in des Baumes Rinde,
Mich schmücken mit der Blumen Angebinde,
Zu Träumen mich in kühle Schatten legen.
Doch so verwirrte mich des Blickes Helle,
Und so geblendet blieb ich von dem Bilde,
Daß lang ich wie ein Trunkner mußte wanken
Und nun mit allen Streben der Gedanken,
So wie mit allem Suchen im Gefilde
Nicht mehr erforschen kann die teure Stelle.
Auf eines Berges Gipfel,
Da möchte' ich mit dir stehn,
Auf Täler, Waldeswipfel
Mit dir herniedersehn;
Da möchte' ich rings dir zeigen
Die Welt im Frühlingsschein
Und sprechen: "Wär's mein eigen,
So wär' es mein und dein."
In meiner Seele Tiefen,
O, sähst du da hinab,
Wo alle Lieder schliefen,
Die je ein Gott mir gab!
Da würdest du erkennen,
Wenn Echtes ich erstrebt,
Und mag's auch dich nicht nennen,
Doch ist's von dir belebt.
Ich saß bei der Linde
Mit meinem trauten Kinde,
Wir saßen Hand in Hand;
Kein Blättchen rauscht' im Winde,
Die Sonne schien gelinde
Herab auf's stille Land.
Wir saßen ganz verschwiegen,
Mit innigem Vergnügen,
Das Herz kaum merlich schlug.
Was sollten wir auch sagen?
Was konnten wir uns fragen?
Wir wußten ja genug.
Es mocht' uns nichts mehr fehlen,
Kein Sehnen konnt' uns quälen,
Nichts Liebes war uns fern.
Aus lieben Aug' ein Grüßen,
Vom lieben Mund ein Küssen
Gab eins dem andern gern.
Sie kommt in diese stillen Gründe;
Ich wag' es heut mit kühnem Mut.
Was soll ich beben vor dem Kinde,
Das niemand was zuleide tut?
Es grüßen alle sie so gerne;
Ich geh vorbei und wag' es nicht,
Und zu dem allerschönsten Sterne
Erheb' ich nie mein Angesicht.
Die Blumen, die nach ihr sich beugen,
Die Vögel mit dem Lustgesang,
Sie dürfen Liebe ihr bezeugen;
Warum ist mir allein so bang?
Dem Himmel hab' ich oft geklaget
In langen Nächten bitterlich
Und habe nie vor ihr gewaget
Das eine Wort "Ich liebe dich".
Ich will mich lagern unterm Baume,
Da wandelt täglich sie vorbei;
Dann will ich reden als im Träume,
Wie sie mein süßes Leben sei.
Ich will ... O wehe! welches Schrecken!
Sie kommt heran, sie wird mich sehn;
Ich will mich in den Busch verstecken,
Da seh' ich sie vorübergehn.
Wir waren neugeboren, himmlisch helle
War uns der Liebe Morgen aufgegangen;
Wie glühten, Laura, Lippen dir und Wangen!
Deine Auge brannt', es schlug des Busens Welle.
Wie wallt' in mir des neuen Lebens Quelle!
Wie hohe Kräfte rastlos mich durchdrangen!
Sie ließen nicht des Schlafes mich verlangen,
Lebendig kurzer Traum vertrat die Stelle.
Ja, Lieb' ist höher Leben im gemeinen;
Das waren ihre regen Lebenszeichen;
Nun such' ich sie an dir, in mir vergebens.
Drum muß ich, Laura, dich und mich beweinen:
Wir beide sind erloschner Liebe Leichen,
Uns traf der Tod des liebelosen Lebens.
In Liebesarmen ruht ihr trunken,
Des Lebens Früchte winken euch;
Ein Blick nur ist auf mich gesunken,
Doch bin ich vor euch allen reich.
Das Glück der Erde miss' ich gerne
Und blick', ein Märtyrer, hinan,
Denn über mir in goldner Ferne
Hat sich der Himmel aufgetan.
An jedem Abend geh' ich aus,
Hinauf den Wiesensteg.
Sie schaut aus ihren Gartenhaus,
Es stehet hart am Weg.
Wir haben uns noch nie bestellt,
Es ist nur so der Lauf der Welt.
Ich weiß nicht, wie es so geschah,
Seit langen küss' ich sie.
Ich bitte nicht, sie sagt nicht ja,
Doch sagt sie nein auch nie.
Wenn Lippe gern auf Lippe ruht,
Wir hindern's nicht, uns dünkt es gut.
Das Lüftchen mit der Rose spielt,
Es fragt nicht: "Hast mich lieb?"
Das Röschen ich am Taue fühlt,
Es sagt nicht lang: "Gib!"
Ich liebe sie, sie liebet mich,
Doch keines sagt: "Ich liebe dich."
Dem stillen Hause blick' ich zu,
Gelehnt an einen Baum;
Dort liegt sie wohl in schöner Ruh'
Und glüht in süßem Traum.
Zum Himmel blick' ich dann empor,
Er hängt mit Wolken dicht.
Ach, hinter schwarzem Wolkenflor,
Da glänzt des Vollmonds Licht.
Ich tret' in deinen Garten;
Wo, Süße, weilst du heut?
Nur Schmetterlinge flattern
Durch diese Einsamkeit.
Doch wie in bunter Fülle
Hier deine Beete stehn
Und mit den Blumendüften
Die Weste mich umwehn!
Ich fühle dich mir nahe,
Die Einsamkeit belebt,
Wie über seinen Welten
Der Unsichtbare schwebt.
So soll nun dich meiden,
Du, meines Lebens Lust!
Du küssest mich zum Scheiden,
Ich drücke dich an die Brust.
Ach, Liebchen, heißt das meiden,
Wenn man sich herzt und küßt?
Ach, Liebchen, heißt das scheiden,
Wenn man sich fest umschließt?
Dir ist die Herrschaft längst gegeben
In meinem Liede, meinem Leben,
Nur diese Nacht, o welch ein Traum!
O, laß das schwere Herz mich lösen!
Es saß ein fremd, verschleiert Wesen
Dort unter unsrer Liebe Baum.
Wie hält sie meinen Sinn gefangen!
Ich nahe mich mit süßem Bangen,
Sie aber hebt den Schleier leicht;
Da seh' ich deine lieben Augen,
Ach, deine blauen, trauten Augen,
Und jeder fremde Schein entweicht.
Was streift vorbei im Dämmerlicht?
War's nicht mein holdes Kind?
Und wehten aus dem Körbchen nicht
Die Rosendüfte lind?
Ja, morgen ist das Maienfest;
O morgen, welche Lust,
Wann sie sich glänzend schauen läßt,
Die Röslein an der Brust!
Sie war ein Kind vor wenig Tagen,
Sie ist es nicht mehr, wahrlich nein!
Bald ist die Blume aufgeschlagen,
Bald hüllt sie halb sich wieder ein.
Wen kann ich um das Wunder fragen?
Wie? oder täuscht mich holder Schein?
Sie spricht so ganz mit Kindersinne,
So fromm ist ihrer Augen Spiel;
Doch großer Dinge wird' ich inne,
Ich schau in Tiefen ohne Ziel.
Ja, Wunder sind's der süßen Minne,
Die Minne hat der Wunder viel.